Die wirtschaftliche Stimmung in der ambulanten Versorgung ist im 3. Quartal 2022 drastisch eingebrochen. Darauf hat die Hamburger Stiftung Gesundheit mit Blick auf ihren jüngsten Medizinklima-Index hingewiesen. „Die Trias aus weiter anhaltenden und nicht kohärenten Corona-Regularien, die Energiekrise mit massiven Preissteigerungen sowie der politisch gewollte Wegfall der erfolgreichen Neupatientenregelung bei Ärztinnen und Ärzten spiegeln sich in einem regelrechten Absturz des Medizinklimas in allen ambulanten Heilberufen“, berichtete Prof. Konrad Obermann, Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit. „Das zeigt eindeutig und erschreckend: Die ambulante Versorgung – das Rückgrat einer patientennahen, kostengünstigen und erfolgreichen Versorgung – ist in akuter Gefahr!“
Am stärksten sank das Medizinklima dem Bericht zufolge in der Ärzteschaft, und zwar um 22,9 Punkte auf einen Wert von -33,1. Damit erreicht die wirtschaftliche Zuversicht der Ärztinnen und Ärzte einen neuen Tiefstand: „Sie unterschreitet sogar das bisherige Minimum vom Mai 2020, das durch die erste Welle der Covid-Pandemie verursacht wurde“, erklärte Prof. Obermann. „Die ambulante Versorgung ist in akuter Gefahr!“
In seinem ausführlichen Kommentar zum Medizinklima-Index erklärte der Arzt und Ökonom, durch die „vielfach inkongruente und durch unzureichende Evidenz geprägte Corona-Politik“ sei die ambulante Versorgung seit Beginn der Pandemie stark und sicherlich häufig unnötig belastet worden. Als ein Beispiel für die fehlende Wertschätzung der Politik für die erheblichen zusätzlichen Leistungen in den Praxen nannte er den weiterhin ausstehende Bonus für Medizinische Fachangestellte Auch die massiven Preissteigerungen für Energie könnten nicht durch praxisferne Ratschläge aus der Politik kompensiert werden: „Praxen müssen warm sein, denn alte und kranke Menschen können nicht mit bloßem Oberkörper bei 18 Grad untersucht und behandelt werden“, sagte er darin. Nicht zuletzt sei es kontraproduktiv, einen wirksamen Anreiz wie die Neupatientenregelung für Ärztinnen und Ärzte wegfallen zu lassen. „Dieser hatte für die durch Budgetierung und hohe Patientenzahlen ohnehin stark belasteten Praxen Möglichkeiten geschaffen, zusätzlich kurzfristige Termine anzubieten und neue Patienten aufzunehmen“, betonte Prof. Obermann.
Ausschlaggebend für die schlechte Entwicklung des Medizinklimas sei in den meisten Fällen nicht die aktuelle wirtschaftliche Lage, sondern vielmehr die Zukunftserwartungen in der ambulanten Versorgung, die erneut stark zurückgegangen seien und mittlerweile in vielen Gruppen auf hochkritischem Niveau lägen, analysierte der Forschungsleiter. Vergleichsweise optimistisch zeigten sich aktuell nur die Heilpraktiker:innen, bei denen lediglich 28,0 Prozent von einer Verschlechterung ausgehen. Sie seien zudem die einzige Gruppe, in denen ein zweitstelliger Anteil der Befragten mit einer positiven Entwicklung ihrer Lage rechnet (17,3 Prozent). In allen anderen Gruppen glaubt nur ein Bruchteil der Befragten an eine Verbesserung (max. 5,4 Prozent).